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Katalog zur Ausstellung im Künstlerhaus Marktoberdorf, 2004
ISBN 3-928691-42-2

Andrea Sandners gemalte Architekturen

Andrea Sandners gemalte Architekturen wirken kühl. Jeglicher Individualität beraubt, auf formale Grundelemente reduziert, stehen sie da – als habe sich eine Anatomin zum Wesentlichen eines Objektes vorgearbeitet. Hinweise auf Zeit, konkreten Ort oder Nutzung der jeweiligen Gebäude fehlen. Die unfertigen Rohbauten am Meer, die Fabrikfassaden ohne Zutrittsmöglichkeit, von Gebrauchsspuren befreit, verschließen sich der raschen Annäherung. Doch der scheinbaren Nüchternheit und Klarheit der Komposition steht die Wirkung der Farben entgegen. Die unterschiedlichen Farbklänge, aus derselben Grundfarbe gemischt, werden auf den ersten Blick als angenehm empfunden. Feine Abstufungen legen sich besänftigend auf die harten Formen, und trotzdem stellt sich bei der Betrachtung Verunsicherung ein.

Wie im "Haus am Meer, rot" eine als Wasser lesbare Horizontale in dunklem Rosa auf einen ockerfarbenen Strand trifft, erzeugt Unbehagen. Die Art, wie sich die in unterschiedlichen Brauntönen dastehenden Pfeiler des Gebäudes gegen einen penetrant zartrosafarbenen Himmel abgrenzen, vertreibt die anfängliche Urlaubs-Assoziation von wohliger Abendstimmung im Süden. Irgendetwas scheint hier nicht zu stimmen. Der vordergründig einfache Aufbau aus wenigen, klaren Farbflächen entfaltet sich als vielfach abgestuftes, kühn kalkuliertes Geflecht aus farblichen Nachbarschaften. Fast wünscht man sich zwischendurch einen reinen Grundton zur eigenen Orientierung. Aber das liegt nicht in Sandners Interesse. Gerade die Zwischentöne und Übergänge sind ihr ein Anliegen.


Den Bildern liegen zwei zeitlich versetzte Aneignungsprozesse zugrunde. Die Malerin sucht sich ihre Motive mit der Kamera. Sie photographiert Parkhäuser, Industriebrachen, unbeachtete Abseiten oder Hinterhöfe mit deren oft unstrukturierten Ansammlung an Nutzbauten. Ihr forschender Blick gilt dabei nicht der morbiden Ästhetik verfallender Gebäude oder der beredten Leere kahler Beton-Orte. Sie verweigert ihren Vorlagen solch erzählerische Qualitäten und nimmt ihnen die Spuren gelebten Lebens. Ihr Interesse gilt der harten, formalen Vorgabe.

Derart skelettiert und bereinigt, setzt die farbliche Umformung der Motive ein. Der Raum als feste Größe wird aufgelöst. Die präzis kalkulierte Abgrenzung einzelner valeurs gibt den Architekturen ihre Wirkkraft und Spannung. Die Farben nähern sich sorgfältig moduliert einander an, um sich gleichzeitig - nur geringfügig anders gemischt - vehement abzustoßen. Da die Bildoberflächen in Acryl mit ihren kaum sichtbaren Arbeitsspuren zurücktreten, rücken die einzelnen monochromen Flächen als Hauptakteure in den Vordergrund. Kaum wahrnehmbare Übergänge, Schattenspuren, halten die Kompositionen in Bewegung. Es entstehen Assoziationsräume, die sich von den ursprünglichen photographischen Vorlagen vollständig entfernt haben.

Sandners Arbeit in Serien dient ihr dazu, die Vielschichtigkeit in der Realitätswahrnehmung deutlich zu machen. Von jeweils derselben Vorlage ausgehend, schafft sie durch die Veränderung der Farbstimmung völlig unterschiedliche Raumbilder. Der konkreten Situation nähert sich die Malerin an, indem sie Ideen von ihr auf die Leinwand bringt.

Ich genieße den Eintritt in Andrea Sandners Architekturen, deren Befreiung von inhaltlichem Ballast, die Leere. Die Entwürfe möglicher Realitäten kann ich mit großer Freiheit durchwandern und verliere mich trotzdem nicht im Nichts. Sandners Räume sind mir vertraut, genauso vertraut wie der Parkplatz samt Tiefgarageneinfahrt hinter dem Supermarkt, an dem ich große Einkäufe für die ganze Woche tätige. Vertraut wie die Straße parallel zu den Schienen jenseits des Bahnhofes, wo Fabrikverkauf, Pommes-Bude und Schrottplatz mir ein schaurig-wohliges Gefühl von Urbanität vermitteln. Ähnlich wie an solchen städtischen Un-Orten des Übergangs ohne gewollte Ästhetik, hat die Sehnsucht nach Behaustheit gerade in Sandners kühlen Architekturen ihren Raum.

Birgit Höppl